OLG München, Endurteil v. 07.01.2020 – 18 U 1491/19 Pre
Titel:
Virtuelles Hausrecht bei Social-Media-Plattformen
Normenketten:
BGB § 307 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 823 Abs. 1, § 1004
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Dem Nutzer einer Social-Media-Plattform, die nach ihrer Zweckbestimmung einen allgemeinen
Informations- und Meinungsaustausch ermöglichen soll, steht aus dem Nutzungsvertrag in
Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB und der mittelbaren Drittwirkung des Grundrechts auf
Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gegen den Betreiber ein Anspruch darauf zu, dass eine
von ihm eingestellte zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt und ihre
Einstellung nicht mit Sanktionen des Betreibers belegt wird.
2. Der Plattformbetreiber kann durch das Aufstellen allgemeiner Verhaltensregeln Rechte,
Rechtsgüter und Interessen im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB definieren, auf die der Nutzer seinerseits
Rücksicht zu nehmen hat.
3. Die vom Plattformbetreiber in allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgestellten Verhaltensregeln
unterliegen grundsätzlich der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Sie halten dieser Kontrolle stand,
soweit sie die Schranken konkretisieren, denen die Ausübung der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5
Abs. 2 GG oder aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts unterworfen ist. Zu diesen Schranken
gehört insbesondere auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (§ 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs.
1, Art. 1 Abs. 1 GG) des von der Äußerung Betroffenen.
4. Wenn eine Äußerung nicht bereits den objektiven Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht,
erfordert die Prüfung ihrer Zulässigkeit im vorgenannten Sinn regelmäßig eine Abwägung, in deren
Rahmen die kollidierenden (Grund-) Rechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und
nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz so zum Ausgleich zu bringen sind, dass sie für
alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.04.1986 - 2
BvR 487/80, Rn. 25, BVerfGE 73, 261).
5. Im Hinblick auf die fundamentale Bedeutung, die der Meinungsfreiheit nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts für die menschliche Person und die demokratische Ordnung
zukommt, kann dem Betreiber einer dem allgemeinen Informations- und Meinungsaustausch
dienenden Social-Media-Plattform kein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum
(„virtuelles Hausrecht“) zugebilligt werden, ob eine von einem Nutzer auf der Plattform eingestellte
Äußerung entfernt werden darf oder nicht. Dem Plattformbetreiber bleibt es aber unbenommen, ein
Forum zu eröffnen, das nach seiner Zweckbestimmung der Erörterung bestimmter Themen
vorbehalten ist.
6. Die Einschränkung von Kommunikationsmöglichkeiten, welche dem Nutzer einer Social-MediaPlattform ausschließlich aufgrund des Nutzungsvertrags mit dem Plattformbetreiber eröffnet sind,
beeinträchtigt den Nutzer nicht in absolut geschützten Rechten im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB.
Schlagwort:
Persönlichkeitsrecht
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 22.02.2019 – 26 O 5492/18
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Berichtigungsbeschluss vom 20.02.2020 – 18 U 1491/19 Pre
BGH Karlsruhe vom -- – III ZR 14/20
Fundstellen:
K & R 2020, 306
MDR 2020, 552